Ukrainische Bürokratie
Bei meiner zweiten Eurasienreise hatte ich vor, von der Ukraine über die Krim nach Russland zu gelangen. Anfang des Jahres 2018 schrieb ich eine Mail an die ukrainische Botschaft in der Schweiz und fragte, ob es möglich sei, als Schweizer Tourist mit dem Fahrrad von der Ukraine auf die Krim zu fahren. Da – wie erwartet – meine Mail unbeantwortet blieb, ging ich einige Wochen später persönlich bei der Ukrainischen Botschaft vorbei und erkundigte mich. Man sagte mir, dass es aus ukrainischer Sicht kein Problem sei, wenn ich von der Ukraine auf die Krim reise. Von Russland auf die Krim zu gelangen sei jedoch aus ukrainischer Sicht illegal, weil die Krim aus ukrainischer Sicht noch immer zur Ukraine gehört und ich bei einer Einreise auf die Krim über Russland keinen offiziellen ukrainischen Grenzposten passieren würde und ich somit nicht legal in die Ukraine einreisen würde. Als nächstes schrieb ich eine Mail an die russische Botschaft in der Schweiz – weil ohne Termin kommt man gar nicht persönlich in die Botschaft hinein. Die Russen antworteten mir einige Tage später, dass ich aus russischer Sicht ganz legal von der Ukraine auf die Krim – welche aus russischer Sicht seit 2014 ein Teil von Russland ist – und somit nach Russland einreisen kann, vorausgesetzt, dass ich ein gültiges Visum für Russland besitze. Die Russen sagten mir jedoch auch, dass ich mit den ukrainischen Behörden abklären müsse, ob ich aus ihrer Sicht von der Ukraine auf die Krim reisen darf. Da ich zudem online die Information gefunden hatte, dass man eine Spezialbewilligung der Ukrainer benötige, um von der Ukraine auf die Krim zu gelangen, ging ich ein weiteres Mal zur ukrainischen Botschaft in Bern. Dort bestätigte man mir erneut, dass ich aus ukrainischer Sicht ohne Probleme und ohne Bewilligung von der Ukraine auf die Krim reisen dürfe. Somit schien meiner geplanten Reiseroute nichts im Weg zu stehen.
Als ich am 3. April 2018 die Grenze zwischen der Ukraine und der Krim erreichte, schauten mich die ukrainischen Soldaten verwundert an. Es dauerte eine Weile, bis sie einen Armeeangehörigen fanden, der Englisch sprach. Dieser teilte mir mit, dass ich ohne Permit nicht auf die Krim reisen dürfe und dass ich das Permit in der 700 Kilometer entfernten Hauptstadt Kiev beantragen müsse. Als ich sagte, dass ich mich in der Schweiz bei den ukrainischen Behörden erkundigt hatte, wurde mir ein ukrainisches Papier vor die Nase gelegt, welches anscheinend besagt, dass Ausländer ein Permit benötigen, um auf die Krim zu gelangen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass ich das Permit aber in der 100 Kilometer entfernten Stadt Kherson beantragen kann. Man machte mich aber auch noch darauf aufmerksam, dass es illegal sei, von der Krim nach Russland weiter zu reisen und dass dieses Vergehen mit einem drei- bis fünfjährigen Einreiseverbot in die Ukraine bestraft werde. Ich war bereit, dieses Risiko in Kauf zu nehmen.
Aus Zeitgründen fuhr ich mit einem Zug zurück zu Kherson, wo ich am Tag zuvor mit dem Velo durchgefahren war. Ein ukrainischer Fahrradfahrer lud mich in Kherson spontan in sein Café ein. Ich erzählte ihm meine Lage. Weil es schon Abend war, wollte er wissen, wo ich übernachten werde. Ich sagte, dass ich mein Zelt dabei habe und dass ich irgendwo ausserhalb der Stadt campieren werde. Da er sich offenbar nicht vorstellen konnte, dass man bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt bequem im Zelt übernachten kann, spendierte er mir ein Hotelzimmer in der Stadt. Einige seiner Freunde kamen auch noch in das Café und begleiteten mich später in das Hotel. Am nächsten Morgen halfen sie mir dabei, Passbilder machen zu lassen und das Büro zu finden, in welchem das Permit zu beantragen war. In diesem Büro standen drei Tische und einige Stühle, jedoch kein Computer – ein Büro, wie ich es erwartet hatte. Es dauerte eine Weile, bis ein Beamter zu mir und meinem Begleiter kam. Man teilte mir mit, dass Ausländer nur dann diese Permit erhalten können, wenn sie entweder Familienangehörige oder ein Haus auf der Krim haben – Ich hatte weder das eine noch das andere. Als Journalist wäre es anscheinend auch noch möglich gewesen, jedoch hätte das Permit dann über ein Ministerium in Kiev beantragt werden müssen. Die letzte Möglichkeit wäre noch gewesen, wenn ich aus „religiösen Gründen“ die Krim hätte besuchen wollen. Wir kontaktierten einige aus der Krim stammende Tataren, in der Hoffnung, dass die mich auf die Krim einladen würden – doch daraus wurde nichts.
Schlussendlich musste ich einsehen, dass ich nicht von der Ukraine auf die Krim reisen kann. Da es in den Regionen Donezk und Luhansk, welche sich nördlich der Krim befinden, offenbar immer noch Gefechte gab und ich mich zu wenig mit der Sicherheitslage in diesem Teil beschäftigt hatte, fuhr ich demotiviert mit einem Zug von Kherson in den Norden bis nach Kharkiv. Von dort fuhr ich mit dem Velo weiter nach Belgorod in Russland. Von Belgorod wollte ich per Zug in den Süden nach Krasnodar reisen, eine Stadt, welche sich wieder auf meiner geplanten Route befand. Da es keine direkte Zugsverbindung gab, musste ich am 7. April um 2 Uhr in der Nacht in einem ersten Zug zwei Stunden bis in die Ortschaft Kursk fahren, um dann dort zwei Stunden am Bahnhof zu warten, bevor ich um 6 Uhr in der Früh mit einem weiteren Zug während einer 24 stündigen Fahrt nach Krasnodar transportiert wurde.