Russisches Verhör
In der russischen Republik Dagestan gab es immer wieder Checkpoints, wo ich meinen Pass zeigen musste, damit die Beamten einige Angaben in ein dickes Buch abschreiben konnten. Dies dauerte normalerweise nur einige Minuten. Nachdem ich an diesem Tag schon drei Checkpoints erfolgreich passiert hatte, wollte ich eine Essenspause einlegen. Doch noch bevor ich mein Essen auspacken konnte, hielten zwei Autos an und einige Männer stiegen aus. Sie sagten mir, dass ich mit ihnen zum nächsten Polizeiposten kommen müsse. Ich verzichtete auf meine Essenspause und fuhr den Autos nach. Nach einigen Kilometern erreichten wir den Polizeiposten. Mein Velo musste ich vor den Toren des Komplexes abstellen. Im Innern des Hauptgebäudes wurden die Daten von meinem Pass erfasst, danach wurde ich in den ersten Stock in ein Büro geführt. Im Büro sah ich als erstes Putin – als Hintergrundbild der Computer. Die Beamten versuchten mich auf Russisch zu befragen, was nicht funktionierte, da ich kein Russisch spreche. Sie versuchten es immer wieder, was mich ziemlich schnell nervte, weil ich wirklich nicht verstand, was sie wissen wollten. Ich sagte „Google Translate“ und zeigte auf den Computer, in der Hoffnung, dass ich so immerhin mit den Beamten kommunizieren und bald wieder unterwegs sein könnte. „No Internet“, war die Antwort. Einer der Beamten nahm sein Smartphone nach vorne und verwendete dort den Google Translator, um mir mitzuteilen, dass sie mir einige Fragen stellen müssten – jedoch wollten sie es nicht über sein Smartphone machen. Sie überschwemmten mich lieber weiter mit russischen Wörtern. Nach einer halben Stunde sinnlosen Wartens hatte ich genug, schliesslich hatte ich ja meine Essenspause nicht gemacht und war deshalb richtig hungrig und schon ziemlich gereizt. Mit Pantomime machte ich den Beamten deutlich, dass ich zum Velo will um zu essen. „Wait five minutes“, war die Antwort des einen Polizisten. „No, i already waited for 30 minutes and i am hungry, I gonna eat now!”, sagte ich, erhob mich von meinem Stuhl und verliess das Büro, lief die Treppe hinunter und verliess das Gebäude. Als ich über den Innenhof ging, wunderte ich mich, durch welche Türe wir wohl hineingekommen waren. Ich öffnete die erste Tür, doch der Gang dahinter war mit einem Gitter versperrt. Ich öffnete also die Tür daneben und versetzte dort den Polizisten, welcher wohl den Eingang bewacht, in Angst und Schrecken. Es dauerte nicht lange, bis die Polizisten aus dem Büro auch im Innenhof waren und mich baten, zurück ins Büro zu kommen. Ich insistierte, dass ich nach draussen zu meinem Fahrrad wolle, weil ich hungrig sei und sich das Essen in der Tasche befinde. Widerwillig liessen sie mich nach draussen gehen. Ich holte Brot und Urbech (Brotaufstrich, welchen ich am Tag zuvor von meinen Gastgebern erhalten hatte) aus meiner Packtasche und setzte mich auf die kleine Treppe vor dem Eingang. Die Beamten wollten nicht, dass ich dort draussen esse. Somit ging ich mit meiner Verpflegung zurück ins Büro und ass am Schreibtisch des Polizisten. Die Beamten versuchten weiterhin, mich auf Russisch zu befragen – doch ich verstand die Fragen immer noch nicht. Zwar konnte ich ihnen problemlos erklären, von wo ich komme, welche Route ich fuhr und wohin ich später reisen will, doch mehr konnte ich ihnen ohne Übersetzer wirklich nicht erzählen. Nach einer guten Stunde betrat ein älterer Mann zusammen mit einer Frau das Büro. Die Frau sprach sehr gutes Englisch und so konnten die Beamten mit mir kommunizieren. „Where are you from?“, war die erste Frage, welche mir die Frau stellen musste. „Switzerland“, sagte ich verwundert, da ich den Jungs auf Russisch mehrmals gesagt hatte, dass ich Schweizer bin. Zudem hatten sie ja auch meinen Pass! „When did you arrive in Russia?“, wollten sie als nächstes von mir wissen. Ich ergriff meinen Pass, welcher nur einige wenige Visa und Stempel enthielt, blätterte zum russischen Visum und las den russischen Einreisestempel vor. Jeder anständige Beamte hätte diese Informationen von meinem Pass ablesen können. Die Beamten wollten auch wissen, weshalb ich nach Dagestan kam. „Travelling. I am travelling“, sagte ich. „Where do you want to go next?”, wurde ich gefragt. Ich erklärte, dass ich von Russland nach Aserbaidschan fahren wolle. Danach wollten sie noch einmal wissen, weshalb ich in Dagestan sei, wenn ich von Russland nach Aserbaidschan wolle. „Weil Dagestan der einzige Teil Russlands ist, welcher an Aserbaidschan grenzt“, sagte ich genervt. „How did you come to Dagestan“, wurde ich als nächstes gefragt. „From Grozny, I cycled south over a pass into Dagestan”, erklärte ich. „Where did you stay last night?”, wollte man als nächstes wissen. „I was invited in Botlikh and spent 2 nights there”. „Where in Dagestan did you stay before?”, wurde ich daraufhin gefragt. „Botlikh is the first real town when you come from Grozny”, sagte ich verwundert, „I didn’t spend a night in Dagestan before”. Die Dolmetscherin übersetzte meine Antwort und der Beamte fragte etwas nach, und offensichtlich musste die Frau ihm die Geografie von Dagestan erklären. „I see, you know much more about Dagestan than him”, sagte ich lächelnd zur Übersetzerin. Das Verhör ging weiter, und man wollte unter anderem von mir wissen, seit wann ich gerne reise, welche Währung ich in Russland verwende (russische Rubel, was sonst du Trottel?!) oder wie ich ohne Russisch zu sprechen einkaufen könne (Produkte ergreifen, zur Kasse gehen, Geld hinstrecken?!). Irgendeinmal fragte ich, wie lange man mir noch so doofe Fragen stellen wolle. Ich erhielt die Antwort, dass das keine doofen, sondern sehr relevante Fragen seien. Die nächste relevante Frage war, weshalb ich lange Haare habe. Ich musste laut lachen. Eine weitere relevante Frage war, weshalb ich so gut Englisch spreche. Ich sagte, dass ich Englisch in der Schule lernte und stellte die Gegenfrage, weshalb denn der Beamte kein Englisch spreche. Der Beamte liess mir ausrichten, dass er sehr wohl Englisch spreche. „So is he too shy to talk to me?“, provozierte ich den Beamten – welcher natürlich nicht verstand, was ich sagte. Später wurde ich gefragt „what do you do when your bike breaks?” “What do you do when your bike breaks?”, wiederholte ich die Frage und fügte “you try to fix it!” an. Martullo-Blocher wäre stolz auf mich gewesen. Nach zwei Stunden war der Horror vorbei und ich durfte gehen. Die Beamten waren sich nicht zu schade, mich nach einem Selfie mit ihnen zu fragen. „Hell no, forget it!“, war meine Antwort. Es dauerte einige Minuten, bis man mich definitiv aus dem Komplex herausliess. Ich bedankte mich noch bei der Dolmetscherin für ihre Hilfe und sagte, dass es mir leid tue, dass sie extra zum Polizeiposten kommen musste, um mir dann solche absolut doofen und unnötigen Fragen zu übersetzen. Sie und ihr Mann gingen zu Fuss zurück ins Zentrum der Ortschaft und ich in der Dunkelheit endlich weiterfahren konnte.