Hitchhiking to Estonia

Published by Marc on

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Um günstig und relativ schnell von der Schweiz nach Estland zu gelangen, entschied ich mich, zu trampen. Mir war bewusst, dass es in Europa schwierig sein könnte, da ich nicht nur viel Gepäck, sondern auch noch ein Fahrrad zu transportieren hatte und somit (fast) alle Autos als Mitfahrgelegenherit wegfallen. In Bern fuhr ich mit dem Velo zum Rastplatz Grauholz, da ich annahm, dort am ehesten einen LKW zu finden, der mich mitnehmen würde. Als ich am Dienstagmorgen, dem 25 Juli, mein Fahrrad durch ein Tor auf den Rastplatz schob, sah ich ein paar wenige LKWs. Der eine serbische Truck war auf dem Weg nach Wien, durfte aber niemanden mitnehmen. Als ich einen polnischen Lastwagen mit litauischem Anhänger sah, ging ich auf den Fahrer zu und wollte herausfinden, wohin er geht und ob er mich, mein Fahrrad und mein Gepäck mitnehmen könnte. Der Fahrer, ein Ukrainer, sprach weder Deutsch noch Englisch, und obwohl ich bereits dreimal in Russland gewesen war, konnte ich mich kaum auf Russisch verständigen. Glücklicherweise hatte ich noch immer das Sprachpaket „Russisch“ beim Google Translate App auf meinem Smartphone gespeichert. So konnte ich den Fahrer fragen. Anstatt die Antwort einzutippen, erklärte mir der Fahrer in einem Mix aus Deutsch, Englisch und Russisch, dass er nicht wisse, wohin er als nächstes fahre. Er wartete auf dem Rastplatz, um von seinem Chef ein SMS mit Koordinaten zu erhalten, zu welchen er als nächstes fahren sollte. Falls mir die Richtung passe, könne ich mitkommen, teilte er mir ebenfalls mit. Da nicht klar war, wie lange der Ukrainer noch warten musste und ob mir seine Fahrtrichtung zusagen würde, fragte ich noch andere Fahrer. Ein Deutscher hätte mich mitgenommen, jedoch fuhr er nur nach Luzern, um dort Kunstrasen zu laden. Danach sei sein Lastwagen aber komplett gefüllt. Das half mir auch nicht wirklich weiter. Plötzlich kreuzte die Polizei auf dem Rastplatz auf und fing an, Lastwagenfahrer zu kontrollieren. Der Ukrainer fuhr los und signalisierte mir beim Vorbeifahren, dass er wegen den Polizisten abhaue.

Am Mittag fand ich endlich einen Fahrer, der mich ein Stück weit mitnehmen konnte. Andreas, welcher gerade mit einem leeren Kranwagen unterwegs war, nahm mich nach seiner Mittagspause mit. Nach einer 45 minütigen Fahrt liess er mich bei einem anderen Rastplatz hinaus. Ziemlich kurz darauf sprach ich René, einen anderen Schweizer Lastwagenfahrer, an. Sein Truck war leer und auch er nahm mich mit. Nach dieser Fahrt befand ich mich zwischen Winterthur und Schaffhausen. Obwohl mich René auch bei einem Rastplatz hinausgelassen hatte, kam ich nicht weiter. Zwar standen viele Trucks dort. Viele waren jedoch entweder bereits in ihren Fahrerkabinen am Schlafen, voll beladen oder durften/wollten mich nicht mitnehmen. Ich beschloss, die verbleibenden 30 Kilometer zur Grenze mit dem Velo zurück zu legen, in der Hoffnung, direkt nach der Grenze mehr Lastwagenfahrer anzutreffen.

Als ich an der Grenze ankam, war es bereits fast dunkel. Auf der deutschen Seite standen mehrere LKWs auf einem grossen Parkplatz. Jedoch wollten die Fahrer offensichtlich die Nacht dort verbringen. Auf einer öffentlichen Toilette wusch ich mich, stellte danach das Zelt in der Nähe des Parkplatzes auf und ging zu Bett. Am nächsten Tag erwachte ich um 6 Uhr, ass mein Frühstück und packte meine Sachen zusammen. Um 6:45 stand ich mit meinem Fahrrad beim Parkplatz und war bereit, einen LKW zu finden. Ich hätte auf der Landstrasse nach Ulm gelangen können, andere hätten mich auch nach Innsbruck oder Freiburg mitgenommen. Jedoch wollte ich auf der Autobahn in Richtung Stuttgart weiterfahren. Der Tscheche Roman befand sich auf dem Heimweg und er sagte, er könne mich nach Stuttgart oder sogar nach Nürnberg mitnehmen. Während der Fahrt sprachen wir viel. Ich kann mich jedoch nicht mehr erinnern, ob wir auf Deutsch oder auf Englisch miteinander kommunizierten. Er kannte sich mit dem deutschen Strassennetz sehr gut aus und empfahl mir, fast bis zur tschechischen Grenze mitzufahren. Er verliess die Autobahn an einem Ort, von wo aus ich innerhalb kürzester Zeit zu einem Autobahncafé mit einem grossen LKW Parkplatz gelangen konnte.

Auf diesem Parkplatz standen mehrere Dutzend Lastwagen. Doch die meisten von ihnen fuhren am Abend nicht mehr weiter und diejenigen, die weiterfuhren, konnten mich nicht mitnehmen. Ein deutscher Fahrer, der vor Ort eine Pause machen musste, hätte mich mitgenommen, jedoch war er unterwegs nach Wien und nicht in Richtung Dresden. Eine Parkplatzwächterin rief den Fahrer zu sich und sie sprach einige Minuten mit ihm. Als er zurückkam, erklärte er mir kopfschüttelnd, dass er gerade gewarnt wurde, einen Anhalter mitzunehmen, da offenbar in der Region gerade erst ein Lastwagenfahrer von einem Tramper ermordet worden sei. Er sagte mir, dass er ihr daraufhin gesagt habe, dass es sich bei mir offensichtlich nicht um eine gefährliche Personl handle.

Da ich am Abend nicht mehr von diesem Parkplatz wegkam, stellte ich in der Nähe mein Zelt auf. Ich googelte noch schnell über den Zwischenfall mit dem mordenden Tramper, konnte jedoch keine solche Geschichte finden, weshalb ich annehme, dass sie frei erfunden worden war. Am nächsten Morgen stand ich bereits um 5 Uhr auf. Jedoch wurde ich erst vier Stunden später von einem Bosnier mitgenommen. Sein Lastwagen war zwar eigentlich voll, doch mein beladenes Rad konnten wir gerade noch hinten in den Lastwagen quetschen. Der Fahrer erzählte mir, dass er früher Beats für einen befreundeten Rapper am Computer produziert habe. Dieser Freund hatte dann offenbar einer dieser Beats irgendwo hochgeladen, und anscheinend wird genau dieser Beat im Song Desolé von Sexion d’Assaut, welcher auf Youtube mehrere Millionen Mal angeklickt wurde, verwendet. Der Bosnier liess mich nach einer interessanten Fahrt an einem Rastplatz raus. Im Schatten eines Baumes kochte ich mir mein Mittagessen. Als ich meine Sachen wieder zusammengepackt hatte, wurde ich von einem kroatischen Fahrer angesprochen. Nach ein paar Minuten erklärte er sich bereit, mich mitzunehmen. Mit ihm fuhr ich bis in die Ortschaft Meerane, welche an der A4 liegt. Mein Plan war es, auf der A4 in Richtung Polen weiter zu trampen. Dafür musste ich aber zuerst zu einem Rastplatz an der A4 gelangen. Auf der Karte sah ich, dass sich in einigen Kilometern Entfernung ein solcher Rastplatz befindet und sogar eine Naturstrasse dazu führt. Motiviert machte ich mich auf den Weg. Als ich beim Rastplatz ankam, sah ich, dass dieser eingezäunt war. Jedoch fand ich ein Tor, welches nicht verschlossen war. Doch leider ging es von dort mehrere Meter ziemlich steil einen Abhang hinunter. Vermutlich hätte ich mein Velo und meine Taschen separat nach unten transportieren können, doch ich sah keinen Weg durch die dichten Büsche, welche nach dem Abhang folgten.

Ich bevorzugte, mit dem Fahrrad weitere 25 Kilometer nach Osten zum nächsten Rastplatz zu fahren. Auf der Karte sah ich, dass es dort ein Restaurant gab und dass dieses scheinbar auch von aussen über Waldwege erreichbar ist. Nach einer guten Stunde kam ich bei meinem neuen Ziel an. Auch dieser Rastplatz war eingezäunt. Diesmal waren jedoch die Tore verschlossen. Ich lief dem Zaun entlang und hoffte, irgendwie auf den Rastplatz gelangen zu können. Ein kleiner Pfad führte dem Zaun entlang durch den Wald. Auf diesem Weg begegnete ich einem älteren Mann, welcher unter anderem Pfandflaschen sammelte. Ich fragte ihn, ob man irgendwie auf den Rastplatz gelangen könne. Er lachte und sagte, er zeige mir jetzt seinen Schleichweg. Tatsächlich befand sich an einem Ort ein relativ grosses Loch im Zaun. Ich brachte mein Velo dorthin und schaffte es tatsächlich, mein Fahrrad und mein ganzes Gepäck auf den Rastplatz zu transportieren. Auf dem Parkplatz standen viele Lastwagen. Jedoch hatten die meisten von ihnen bereits die Vorhänge in ihren Fahrerkabinen gezogen, was bedeutete, dass sie vermutlich die Nacht dort verbringen. Ein deutschen Fahrer hatte seine Tür noch geöffnet. Ich fragte ihn, ob er mich am nächsten Tag mitnehmen könne. Doch er sagte, dass ihm der Chef nicht erlaube, jemanden mitzunehmen, weil es sonst Probleme mit der Versicherung geben könne. Daneben stand ein polnischer Truck. Der Fahrer sprach weder Deutsch noch Englisch, jedoch Russisch. Ich fragte ihn auf Russisch, wohin er fahre. Er antwortete mir, dass er am nächsten Tag nach Warschau fahre. Ich wollte ihn auf Russisch fragen, ob er mich mitnehmen könne. Da ich aber im Wesentlichen nur einzelne russische Worte kenne, sagte ich „Morgen, Ich, Fahrrad, Auto, Polen“, und gestikulierte dabei mit meinen Armen, da ich nicht wusste, was „mitnehmen“ auf Russisch heisst. Der Fahrer stimmte zu und schrieb mir auf einem Blatt Papier auf, dass er am nächsten Morgen um 4:30 losfahren wolle.

Bei einem Tisch in der Nähe des Lastwagens packte ich meinen Kocher aus. Ich fragte den Lastwagenfahrer, ob er auch Spaghetti essen wolle – er verneinte. Nach einer schmackhaften Mahlzeit stellte ich mein Zelt auf. Um am nächsten Morgen ja nicht zu verschlafen, stellte ich mir ab 4 Uhr alle fünf Minuten einen Wecker auf meinem Smartphone, da ich Angst hatte, aufgrund des lauten Dauerlärms der Autobahn den Wecker nicht zu hören. Als ich in der Nacht erwachte, zeigte die Uhr 3:45 an und ich beschloss, bereits aufzustehen. Kurz vor 4:30 konnten wir abfahren. Um 14 Uhr erreichten wir Warschau. Ich verliess den Truck bei einem grossen Rastplatz, kochte mir ein Mittagessen und suchte mir danach eine weitere Mitfahrgelegenheit. Ich fand einen litauischen Fahrer, der mich bis Kaunas mitnehmen konnte. Das einzige Problem: er durfte an diesem Tag nur noch bis 18 Uhr fahren und musste dann seine neun Stunden Ruhepause einlegen. Trotzdem ging ich gerne mit ihm mit. Rund um Warschau stockte der Verkehr und während der ersten Stunde legten wir gerade mal 30 Kilometer zurück. Als er um 18 Uhr auf einem Rastplatz zum Übernachten hielt, stand vor uns ein estländischer Truck. Spontan fragte ich den Estländer, ob er mich mitnehmen könne – leider durfte er nicht, weil er Gefahrengut geladen hatte. Ich liess „meinen“ Fahrer alleine in seiner Kabine übernachten und stelle mein Zelt auf einem kleinen Stück Rasen neben dem LKW auf. Der Fahrer wollte mir noch etwas zu essen anbieten, was ich ablehnte. Am nächsten „Tag“ stand ich um 2:30 auf und ass hastig mein Frühstück im Zelt, da der Litauer um 3 Uhr losfahren wollte. Der freundliche Fahrer wollte mir im Truck eine Omelette zum Frühstück anbieten. Ich lehnte ab und sagte, dass ich eine Milch- und Eiallergie habe. Als nächste kramte er eine Wurst hervor, welche ich als „Vegetarier“ auch wieder dankend ablehnte. Dem Mann war es jedoch wirklich wichtig, dass er mir etwas zu essen geben konnte. Schlussendlich fand er noch Tomaten und veganes Brot, wovon ich ein wenig verzehrte, um ihm auch noch eine Freude zu bereiten. Um 8 Uhr erreichten wir Kaunas und der sehr hilfsbereite Fahrer liess mich bei einer Tankstelle hinaus.

Auf meiner Karte sah dieser Platz sehr vielversprechend aus. Aber dort standen keine LKWs. Jedoch sah ich einen Minibus mit spanischem Kennzeichen. Ich sprach den Fahrer an. Der Fahrer, ein Rumäne, war auf dem Weg nach Finnland und nahm mich sehr gerne mit. Da sein Smartphone kaputt war, hatte er Papierkarten dabei. Jedoch waren die Karten für die baltischen Staaten und Finnland lediglich schwarz-weisse Ausdrucke von der Routenplanung von Google Maps. Kurz nachdem wir losgefahren waren, hatten wir uns bereits verfahren, da die Signalisation bei einer Baustelle nicht optimal platziert war. Dank meinem Smartphone fanden wir ziemlich schnell eine gute Möglichkeit, um zu wenden. Mit dem Rumänen fuhr ich bis zur lettischen Hauptstadt Riga mit, um dann von dort möglichst direkt nach Tartu zu Grete zu gelangen. In Riga fuhr ich einige Kilometer mit dem Fahrrad, um zu einer scheinbar guten Stelle zum Trampen zu gelangen. Leider war diese Stelle jedoch alles andere als optimal. Ein junger Typ, der zwei Motorräder in seinem grossen Auto verstaut hatte, nahm mich einige Kilometer weit nach Cesis mit. Dort fuhr ich mit dem Velo bis zum Ende der Ortschaft und fand relativ schnell ein Auto, welches mich und meine Ausrüstung bis zur Ortschaft Valmiera mitnehmen konnte. Ich war begeistert, weil es ab Valmiera nur noch gut 100 Kilometer bis nach Tartu waren – und soweit hatte ich es in weniger als fünf Tagen geschafft! Mit dem Velo fuhr ich durch Valmiera bis zur Strasse, welche nach Tartu führt. Dort traf ich einen Argentinier, welcher mit dem Fahrrad durch Europa fuhr. Wir tauschten unsere Nummern aus und ich sagte ihm, dass er, falls er wolle, am nächsten Abend in Tartu bei Grete, ihrer Mutter und mir übernachten könne. Nachdem ich mich vom Argentinier verabschiedet hatte, versuchte ich, ein Auto zu erwischen, welches bis nach Estland fahren würde. Tatsächlich hielt nach fünf Minuten ein Auto mit Anhänger und estländischem Kennzeichen an. Die Familie war auf dem Weg nach Elva, einer Ortschaft in Estland, welche nur noch 30 Kilometer von Tartu entfernt liegt. Wir konnten mein Velo auf dem Anhänger und mein Gepäck im Kofferraum unterbringen. Unterwegs rief die Frau des Fahrers eine Person an, welche mir dann am Telefon mitteilte, dass mich die Familie bis zu Gretes Haustüre fahren wolle. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Ich teilte Grete mit, dass ich bald bei ihr sein werde und ungefähr eine Stunde später erreichten wir Tartu, wo ich Grete traf und ihre Familie kennenlernte.